erschienen in KP 21/2016

Noch einmal Glück gehabt? Zu den Wahlen des österreichischen Bundespräsidenten

In dem Maße, wie die Dämonisierung der FPÖ allein auf dem hohlen Vorwurf des „Deutschnationalismus = Faschismus“ beruhte, steht nun ihre Einschätzung als normale bürgerliche Partei an. Die richtige Einschätzung dieser Partei wird dadurch nicht befördert.

Ein Aufatmen geht durch die Nation, so scheint es, und viele, die sich als links bezeichnen, scheinen mit aufzuatmen, weil der Kandidat der FPÖ es nicht erreicht hat, in der Präsidentenkanzlei Platz zu nehmen. Betrachten wir die ganze Sache ein bisschen nüchterner, aber auch – was an diesem Ort selbstverständlich ist – von einem illusionslosen linken Standpunkt aus.

Was dem Kandidaten der FPÖ und der Freiheitlichen Partei selbst durch die ganze Zeit hindurch vorgeworfen wurde und zu einem zentralen Argument gemacht wurde, war die Stellung zur österreichischen Nation. Als Kennzeichen, als Erkennungsmerkmal für Rechtsextremismus oder für Rechtspopulismus, wie die Sprachregelung so gern lautet, gilt ja in Österreich das mangelnde Bekenntnis zur österreichischen Nation. Und wenn der verwichene Haider, der Vorgänger des jetzigen Parteiführers Strache, in seinem ganzen politischem Leben jemals etwas Richtiges gesagt hat, dann dass die österreichische Nation ein ideologisches Konstrukt sei.

Österreich und Deutschland, Deutschnationalismus und Österreichnationalismus

Um das kurz zu umreißen: Im November 1918 deklarierte die SDAPÖ (sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs) die Gründung der Republik Deutschösterreich durch die provisorische Nationalversammlung, die aus den deutschsprachigen Abgeordneten des Reichtags bestand, der aus den Wahlen von 1911 hervorgegangen war. Ziel dieser Republik war der Anschluss an Deutschland, entsprechend den Zielen der nationaldemokratischen bürgerlichen Revolution von 1848. Die Pariser Friedensvertragsverhandlungen führten zum Verbot dieses Anschlusses, die österreichische Sozialdemokratie hat aber dieses politische Projekt – auch in der Illegalität und im Exil – weiter verfolgt. Erst durch die Moskauer Deklaration 1943 wurde es als ein Kriegsziel der Alliierten bestimmt, den Staat Österreich – als erstes Opfer des deutschen faschistischen Nationalsozialismus – in den Grenzen von 1920 wiederherzustellen. Deutschösterreich also ade und die Sozialdemokratie im Londoner Exil musste ihre eigenen Kriegsziele – Kampf gegen Hitler mit dem Ziel der deutschen sozialistischen Republik, die rote großdeutsche Lösung der deutschen nationalen Frage – aufgeben.

Damit – und auch durch die Formel der Moskauer Deklaration („Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird.“) – wurde aber im politischen Bewusstsein der Bevölkerung ein emotionaler Antifaschismus etabliert, der sich schon damit begnügen konnte, gegen die Piefke zu sein. Wer Deutsche nicht mag, war also nach 1945 schon ein Widerstandskämpfer und Antifaschist, auch als ehemaliges Mitglied der NSDAP.

Das führt zu der sonderbaren Situation von heute, dass, wer als national bezeichnet wird, in Österreich ein Deutschnationaler ist. Wer hingegen österreichnational ist, kann keinen inhaltlich gefüllten Begriff für sich in Anschlag bringen, es sei denn Patriotismus (Wolfgang A. Mozart, Hansi Hinterseer, schöne Berge), Fremdenfeindlichkeit (die Deitschn: überheblich, Besserwisser und außerdem waren sie immer gegen Österreich und sind es heute noch) und lokale Ressentiments. Es ist fraglich, ob es sympathisch ist, dass die österreichische Bevölkerung sich nicht national definieren kann, oder doch reaktionäre strukturelle Rückständigkeit. Immerhin wäre mit dem Konzept der Nation etwas Universalistisches verbunden, etwas in der Nähe der Menschenrecht (Selbstbestimmungsrecht der Völker), etwas, das für alle gelten soll, wo sich die eine Nation an der anderen misst im Wettstreit um die bestmögliche Verwirklichung der (politischen, kulturellen, moralischen) Konzepte.

Die Stellung der Linken zur FPÖ

Was sagt uns das jetzt über die politische Diskussion (und eventuelle Ablehnung und Bekämpfung) der FPÖ? Wenn eins der FPÖ vorwirft, dass sie deutschnational ist (für den braven österreichischen Demokraten welchen Geschlechts auch immer die politische Todsünde), wird damit an antifaschistische Traditionen und Forderungen angeschlossen, die zu ihrer Zeit schon fragwürdig waren. (Die Artikelserie Alfred Klahrs zur Existenz der Österreichischen Nation in „Weg und Ziel“, 1937 im theoretischen Organ der KPDÖ veröffentlicht, um die Grundlagen für die Volksfrontstrategie der stalinistischen Komintern auch in Österreich zu legen: Sollte das österreichische Proletariat mit der nationalen Bourgeoisie ein politisches Bündnis eingehen können, dann musste es eine Nation geben, die die Grundlage dieser nationalen Bourgeoisie war. Mit denselben Argumenten Klahrs könnte eins auch eine bayrische oder preußische Nation ausmachen.)

Das aktuelle Verhalten der österreichischen Linken gegenüber der FPÖ spiegelt diese emotionale, ideologische Gemengelage wider. Zu Haiders Zeiten wurde die FPÖ dämonisiert entlang des staatlich geforderten Antifaschismus: Sie wurde als rechtsradikal und faschistisch bezeichnet, ohne dabei gesellschaftliche Rechtsentwicklung in Europa seit den 1990ern zu thematisieren, geschweige denn, sich davon einen Begriff zu machen und den Aufstig der FPÖ darin zu verorten So bezog sich die Kritik der Linken auf österreichische historische Besonderheiten und stellte die allgemeine Entwicklung in den Metropolen nicht in Rechnung. Statt dessen wurde der FPÖ als Erkennungsmerkmal ihres Faschismus und Rechtsradikalismus ihr angeblich zwiespältiges Verhältnis zur österreichischen Nation dargestellt, ganz entgegen dem Faktischen. Die besondere Betonung des Österreichischen mit Nationalflagge, ungegenderter Bundeshymne, Tracht und ähnlichen Versatzstücken, die bei öffentlichen Auftritten der FPÖ im Fernsehen, bei Versammlungen, Wahlveranstaltungen, etc. beobachtet werden kann, spricht eine andere Sprache.

So werden die Augen vor zweierlei verschlossen. Einerseits wird der FPÖ ein Verhältnis zur deutschen Nation unterstellt, das die Eigenstaatlichkeit Österreichs negiert oder sogar bekämpft, was für sich genommen schon als faschistische Gemeinheit gilt, ohne zu sehen, dass sich die FPÖ auf Österreich als Nationalstaat bezieht. Zum anderen wird bei dem vordergründigen Streit um deutsche oder österreichische Nation ignoriert, dass dieses Bekenntnis zum Nationalstaat mit einer restriktiven Vorstellung von Staatsbürgerlichkeit verbunden ist. Wer auf diesem Staatsgebiet lebt, wird sortiert in „unsere Leute“ und in die Zugereisten, Migranten, Fremden, Asylbetrüger, Wirtschaftsflüchtlinge, etc. Staatsbürgerschaft wird nicht mehr als etwas gesehen, das erworben werden kann durch Niederlassung in einem bestimmten Land, sondern als etwas, das willkürlich und nach unüberprüfbaren Ausschlusskriterien zugeteilt wird. Damit sind sozialstaatliche Restriktionen verbunden – die FPÖ wirbt mit Vorschlägen wie eigenen Versicherungskassen für „Ausländer“, wie Streichung von Sozialleistungen („sie haben ja auch nichts eingezahlt“) und Ähnlichem –, die letztlich den Sozialstaat insgesamt in Frage stellen.

Es sind aber diese zwei Momente, Rückbau des Sozialstaats und Neudefintion der Staatsbürgerlichkeit, die die gesellschaftliche Rechtsentwicklung ausmachen. Dabei ist letzteres durchaus auch als vom Faschismus gelernt und übernommen zu betrachten. „Postfaschistisch“ nennt diese Entwicklung G. M. Tamàs; siehe dazu auch http://www.grundrisse.net/grundrisse45/ueber_postfaschismus.htm (Über Postfaschismus. Wie Staatsbürgerschaft ein exklusives Privileg wird) und http://www.grundrisse.net/grundrisse45/system_der_angst.htm (Vorläufige Thesen zu einem System der Angst). Diese neuen Politikansätze, die faschistische Erfahrungen und Techniken aufgreifen, sind aber dadurch gekennzeichnet, dass sie nationale, womöglich imperialistische ideologische Argumente gar nicht mehr verwenden. Insofern spielt die Frage. ob Österreich nun Teil der deutschen Nation sei, für die die FPÖ eine wesentlich geringere Rolle als für deren KritikerInnen.

Ist doch nur eine Partei wie jede andere – mit der FPÖ zur Regierungskoalition

Ein Teil der Linken hat das wohl bemerkt und daraus auch seine Konsequenzen gezogen – nicht nur der Teil der Sozialdemokratie, der einer Regierungsbeteiligung der FPÖ das Wort redet; auch in Kreisen, die links der SPÖ stehen, wird nun davon gesprochen, dass die FPÖ eine bürgerliche Partei wie alle anderen sei und auch einmal etwas Vernünftiges sagen könne. So wird ihre Kritik an der EU als mit der Kritik der Linken an der EU verträglich dargestellt. So wird sie dafür gelobt, dass sie nicht für Sanktionen gegen Russland eintritt. Selbst klassenkämpferische Ansätze werden bei ihr entdeckt. Verdrängt wird dabei, dass dies alles auf ethnischen „österreichischen“ Prämissen fußt, auf ethnischem Provinzialismus, der sich radikalisiert und durchdreht, dem schon der Begriff der Nation selbst verdächtig ist, hinter dem sich aber diese Politik noch verbirgt. Schließlich geht es um die Macht im Staat, die dann bloß von Österreichern und für sie ausgeübt und angewandt werden soll.

Ähnliches gilt für den Front National, der sich auch nicht auf das Konzept der Nation stützt (in Frankreich viel zu republikanisch) oder nur sehr vage, mehr auf die katholischen Traditionen, die als ethnisch französisch angesehen werden. Auch die Lega Nord, Bündnispartner der FPÖ im Europaparlament, sieht italianità gar nicht mehr im Nationalstaat, sondern im Provinzialismus.

Wenn also die FPÖ am Anfang ihres Aufstiegs als faschistisch dämonisiert wurde, wird heute der gegenteilige Fehler begangen: Sie wird als normal betrachtet, als „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. In Wahrheit ist die Gesellschaft aus der Mitte verschwunden und hat ihre ursprünglich republikanischen, demokratischen, universalistischen Prinzipien und Traditionen – man mag von ihnen halten, was man will – dort liegen gelassen. In Österreich ist die FPÖ die Avantgarde dieser Politik, die aber schon von Christ- und Sozialdemokratie fallweise und immer öfter übernommen wird. Wer braucht universalistische Vorstellungen von Menschheit, wenn wir einfach „Österreicher“ sein können?